Wenn ich ein Virus wär‘

Vorwort

Achtung: Diese kleine Geschichte ist frei erfunden. Die Lebewesen darin können weder denken, sprechen oder sich selbstständig bewegen. Die Personen darin würden sich auch nie so fahrlässig verhalten, denn das verbietet schon der gesunde Menschenverstand.

Wer sich in seinem Verhalten allerdings darin auch nur zum Teil wiederfindet, sollte letzteren vielleicht schnellstmöglich einschalten.

Meine Gedanken sind bei alle denen, die in dieser Krise leiden müssen und Angst um sich, um Ihre Lieben, Ihre Eltern oder Großeltern haben.

Viel Spaß beim Lesen.

Roland aus Friemersheim.

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Wenn ich ein Virus wär‘, …..

…. dann würde ich sicher um mein Überleben kämpfen!

Das ist leider gerade in Gefahr, da mich jemand auf dem Handgriff eines Einkaufswagens zurückgelassen hat.  In ein paar Stunden wäre es aus mit mir, zumal gerade der Himmel aufreißt und die pralle Sonne auf den Kunststoffgriff scheint. Wärme mag ich nicht!

Doch da kommt ein neuer Mensch, und da die zuletzt eingestellten Wagen auch wieder als Erste genommen werden, bin ich froh, wieder unterwegs zu sein.

Das Grauen wartet allerdings direkt an der Eingangstür des Supermarktes: Auf einem Stehtisch steht eine Flasche mit meinem Todfeind, der Desinfektionslösung für die Hände.

Ein Glück: Unser Mensch ignoriert Flasche und Hinweisschild und schiebt uns vorbei in den gemütlichen Markt. 

Ich beschließe, zusammen mit ein paar Nachbarn auf die Hand unseres Chauffeurs umzusiedeln. Hier wird es schon eng! Offenbar liegt das letzte Händewaschen schon lange zurück. 

Die Hand geht von Regal zu Regal. Artikel werden angefasst, und manchmal wieder zurückgestellt. Hier verliere ich viele meiner neuen Freunde und rufe Ihnen zu: Na, der nächste Kunde kommt bestimmt und nimmt Euch mit.

Mein Hand-Taxi kommt nun zur Kühltheke. Nein, nicht die Tiefkühltruhe, sondern die offene Theke mit Wurst, Käse und Milchprodukten. Ha, diese Temperatur mag ich, und die Oberfläche dieser Verpackungen ganz besonders. Ich habe eine fettige Haut, und so kann ich diese glatten Oberflächen richtig schön beschmieren.

Ich entscheide mich, mich auf einer Packung Toast-Scheibletten niederzulassen, bereue es aber schnell, da diese wohl gerade erst eingeräumt wurde, und ich bin allein.

Da liege ich nun tief im Einkaufswagen. Ab und zu kommt die Salamipackung vorbei geschmiert, und ich höre, dass es den Passagieren dort ähnlich geht.

Ist das schon das Ende ?

Nein: Wenige Minuten später, meine Haut wurde schon ganz faltig, greift unser Hand-Taxi wieder in den Wagen und legt Käse, Salami und die anderen Taxis auf ein großes Förderband. Party! Ich traue meinen Augen nicht, wie viele Freunde sich schon auf dem Förderband niedergelassen haben. Einige beschmieren das Band und Fahren wohl die nächste Stunde kostenlos Karussell. Ist ja wie im Freizeitpark hier!

Ich schaffe leider den Absprung nicht, bekomme aber viele neue Freunde, denen wohl vom Karussellfahren schon schwindlig ist. Sie kommen auf einen Schmierer vorbei und setzen sich neben mich. Hoffentlich übergeben die sich nicht auf meiner schönen Käsepackung!

Ein Lichtblitz schreckt uns auf. Sonne? Nein, es ist der Laser der Scanner Kasse. Die Glasscheibe darauf sieht leider recht sauber aus. Ich blicke auf die Kassiererin und Ihre Hände.Sie trägt Latexhandschuhe, und ich denke mir leise: „Die Glasscheibe wird geputzt, doch das Band hast Du vergessen.“

Einige nutzen die Oberfläche Ihrer Handschuhe noch als schnelle Umsteigemöglichkeit. 

Der Rest von Uns landet wieder im Einkaufswagen. Ein kurzer Blick in die Runde zeigt mir, dass nun so gut wie keine Verpackung hier unbesiedelt ist. Die Packungen, die bisher noch verwaist waren, sind spätestens im Freizeitpark neu besetzt worden. 

Wir kommen schnell in eine Tasche, und es wird dunkel. Die Brötchen-Tüte nebenan wärmt mein Käse-Taxi. Ich versuche, mich mit den Bewohnern darauf zu unterhalten, doch die Stimmen darauf werden immer leiser. Offenbar ist das Papier kein guter Sitzplatz für unsereinen.

Es rumpelt leicht. Offenbar stellt unser Kunde den Einkaufswagen wieder zurück. Ich höre vom Handgriff noch einige meiner alten Freunde rufen: „Taxi!“. 

Der nächste Kunde wartet schon.

Für uns auf dem Käse beginnt eine beschwerliche Fahrt. Der PKW heizt sich in der Sonne auf, doch wie bestellt hat sich eine Pizzapackung neben uns gesetzt. Tasche mit Klimaanlage – Klasse!

Wieder rumpelt es, und ich sehe durch einen Schlitz die Decke eines Hausflurs.

Die Tasche wird abgestellt, unser Mensch klingelt an der Tür und sagt etwas wie: 

„Gern geschehen. Bis nächste Woche. Bleiben Sie gesund und lassen sich nicht anstecken!“

Aus meiner Tasche kommt ein lautes Gegröle.

Ich schließe meine Augen und drücke meine vielen Daumen: Wenn unser neuer Mensch jetzt unser Käse-Taxi in die Hand nimmt, zufällig das Händewaschen vergisst und sich man kurz die Nase reibt, haben wir es ….

… geschafft!   Zuhause!

Weihnachtsstress

Weihnachtszeit!

Von allen Seiten klingt es, riecht es, und sieht aus wie: Weihnachten ! Weihnachtsmärkte in jeder Stadt. In Duisburg wachsen blaue (!) Kunststofftannen aus dem Pflaster der Königstrasse. Sogenannte Weihnachtsmusik tönt in einer endlosen Wiederholungsschleife aus hunderten von Lautsprechern. Glühweinbuden und Grillstände bestimmen das Bild, und nur vereinzelt traut sich jemand, etwas handgefertigtes anzubieten, bis man bei näherem Hinsehen erkennt: Der angeblich in filigraner Handschnitzerei gefertigte Balthasar sieht, wie auch alle anderen Krippenfiguren, exakt so aus wie die anderen 5 Zwillinge dahinter, und die hundert anderen im versteckten Karton hinten in der Bude. CNC Fräsbänke machen es möglich. Hier und da noch ein Kleiner Kratzer mit dem Schnitzmesser, und schon ist die „Handarbeit“ fertig.

Beim wöchentlichen Einkauf im Supermarkt versperren Schokoladen-Weihnachtsmänner deinen gewohnten Einkaufsweg, und ein Blick auf die Schlange an der Fisch- und Fleisch-Theke kündigt das nahe Weihnachtsfest an. Offenbar hat jemand gesagt, dass es nach den Feiertagen nichts essbares mehr gibt, und so werden bergeweise Lebensmittel auf die Förderbänder der Kassen gelegt, wo entnervte Kassiererinnen sich nur noch unter Anstrengung zu einem „Schöne Feiertage noch“ durchringen können.

Auf der Suche nach etwas Ruhe nehme ich am Heiligabend mal nicht den Wagen, um den vorbestellten Lachs für das Fest abzuholen. Ist ja nur ein Kilometer, und im Nieselregen, den Kopf eingezogen in den hochgestellten Kragen der Winterjacke wie eine Schildkröte, denke ich mir: Wo ist denn nun das „Weihnachten“ ? Heute, am heiligen Abend, ist vor mehr als 2000 Jahren ein Mann geboren worden, der in seinem kurzen Leben von Frieden, Mitmenschlichkeit und Liebe gepredigt hat. Er muss damit einen großen Eindruck hinterlassen haben, wenn man heute noch seinen Geburtstag feiert!

Wenn also der Grundgedanke von Weihnachten das Gedenken an diesen Mann und seine mahnenden Worte ist, wo finde ich Ihn zwischen all den Plastikverpackungen mit Süßigkeiten, zwischen Glühweintassen und ratternden Registrierkassen ?

Ich finde Ihn, ganz unerwartet, beim Besuch meiner Mutter im Pflegeheim. Alle Bewohner, auch die bettlägerigen, sind versammelt für eine kleine Andacht mit der Pfarrerin der evangelischen Gemeinde nebenan. Kein Weihnachtsbaum, keine Kerzen, und auf den Tischen mehr Schnabelbecher mit Kirschsaft als richtige Trinkgläser. Wir singen ein kleines Weihnachtslied, und alle stimmen mit ein. Hier, zwischen Rollstühlen und Rollatoren, finde ich endlich die Stimmung, die eines heiligen Abends würdig ist. „Friede Euch Allen“ sagt die Pfarrerin, und ich fühle, dass diese Worte auch jeden berühren.

Friede Euch Allen. Allen in dieser Welt. Gleich, welcher Nation, welcher Hautfarbe, welcher Religion. Allezeit. Nicht nur zur Weihnachtszeit. Geht achtsam miteinander um, und achtsam mit der Welt, von und auf der wir leben. Unser eigenes Leben ist endlich, und endlich sind die Resourcen dieser einen Welt. Das, was wir auf unserem Weg durchs Leben verbrauchen und zertreten, sollte auch wieder wachsen können. Auf einer öffentlichen Toilette las ich mal den profanen Satz „Hinterlasse diesen Ort so, wie Du Ihn dir vorzufinden wünschst„. Sollte unsere Anwesenheit dann spurlos bleiben ? Nein! Denn unser Schaffen sollte die Welt – hoffentlich – etwas besser gemacht haben. Das, denke ich, ist Weihnachten: Zeit für Uns, für die Familie, Zeit, mal über uns nachzudenken, wie gut es uns doch geht.

Und unsere Einsicht sollte in seinem Nachhall ein wenig in die Zeit derer klingen, die nach uns kommen und hoffentlich, eines Tages, das gleiche für sich selbst erkennen.

Friede Euch Allen.

Immer. Nicht nur zu Weihnachten.

Roland. 25.12.2018.